"Wonderyears" in Berlin:
Alles ist darstellbar
Verweigerungsarbeit: In Berlin zeigt die Ausstellung "Wonderyears",
wie die aktuelle israelische Kunst nach Möglichkeiten sucht, sich ohne
ritualisiertes Gedenken an den Holocaust zu erinnern
Von
Harald Fricke
taz, 29.04.2003
Alle Faszination geht vom Bart aus. Adolf
Hitler, das ist ein zwei mal zwei Zentimeter großes Haarbüschel: eine Ikone, zur
künstlerischen Verwertung freigegeben. Nicht im krassen Pop der
young british artists, sondern in der israelischen Gegenwartskunst. Roee
Rosen hat das schwarze Quadrat auf Zeichnungen seiner Installation "Live and Die
as Eva Braun" in ein Kindergesicht gemalt. Das war 1997, und obwohl Rosens
surrealer Zyklus das Klischee vom Monster ins Absurde steigert und auflöst, kam
es bei der ersten Präsentation in Jerusalem zum Eklat. Nie zuvor war Hitlers
Konterfei überhaupt in einer Ausstellung in Israel zu sehen gewesen.
Seither ist der Bart ein Erkennungsmerkmal für neue
Kunst aus Israel. Tamy Ben-Tor hat ihn sich für ihre Performance "Hitler - the
Horror and the Horrah" angeklebt. Auch Boaz Arad spielt in verfremdeten
Dokumentaraufnahmen durchaus ironisch mit der, wie er sagt, "berühmten kleinen
Gesichtszier", indem er Hitler bei einer Rede per Computer digital rasiert und
ihm im nächsten Augenblick einen Vollbart wachsen lässt, wie ihn Theodor Herzl
getragen hat. Liegen der Vordenker des Staates Israel und der
nationalsozialistische Diktator wirklich nur einen Imagewechsel voneinander
entfernt?
Es ist schwer zu sagen, wer mit den Exponaten der
Ausstellung "Wonderyears" in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst
provoziert werden soll. Als Untersuchung der "Rolle der Shoah und des
Nationalsozialismus in der heutigen israelischen Gesellschaft" angelegt, sind
die Vorgaben klar: Niemand würde in Deutschland die Vernichtung der Juden im
Dritten Reich bezweifeln, niemand würde die Opfer des Holocaust mit anderen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgleichen, niemand würde die Täterschaft
der Deutschen leugnen. Das ist der Konsens aus 50 Jahren
Vergangenheitsbewältigung.
In Israel hat die Aufarbeitung zu keinem
vergleichbaren Diskurs geführt. Dort wird die Shoah, so eine häufig im Katalog
zu "Wonderyears" vorgebrachte These, als Legitimation für politische Ziele
benutzt und damit auch ein Stück weit entwertet. Die Kriege gegen Ägypten und
Libanon oder die Besetzung palästinensischer Gebiete - alles geschah, um "ein
neues Auschwitz" zu verhindern.
Gleichwohl hat die Angst vor der Wiederkehr der
Gräueltaten des NS-Regimes zu einer Überdetermination geführt, in der jede
Gegenwart und jeder Alltag von der Erinnerung an die Schrecken der Lager geprägt
wird. Jetzt vollzieht sich in der israelischen Gesellschaft ein dramatischer
Wandel: Die Überlebenden der Shoah sterben aus, während die Enkel sich nicht im
Gedenken an Auschwitz definieren wollen, sondern als Teil der Globalisierung.
Diese Schizophrenie gehört zum Leben der 23 für "Wonderyears" ausgesuchten
KünstlerInnen. Die meisten von ihnen sind kaum 30 Jahre alt, viele haben im
Ausland studiert und sind auf Israel höchstens biografisch, aber nicht kulturell
festgelegt. Wenn sich Anat Ben-David in MTV-tauglichen Clips mit blonden
NS-Schönheiten auseinander setzt, benutzt sie Maskeraden à la Madonna; das Pil &
Galia Kollektiv legt wiederum Industrial und Death-Metal als Soundtrack unter
Filmcollagen, die mit Nazisymbolen tätowierte Männeroberkörper zeigen. Damit
steht noch immer die Bedrohung durch den Holocaust im Zentrum, aber der Umgang
mit der Erinnerung an das Ereignis hat sich gewandelt - niemand will weiter
Opfer sein: "Wir sind mit der Wahrnehmung der Shoah als pornografische
Geduldsfolter schwarz-weiß flackernder Dokumentarfilme aufgewachsen und mit den
mittlerweile offenkundig abgeschmackten Gedenkfeierlichkeiten in der Schule",
schreibt der 1968 geborene Künstler und Mitkurator von "Wonderyears", Avi
Pitchon, im Katalog.
Das klingt nach der Rebellion eines trotzigen
Kindes, vielleicht auch nach Punk und Nihilismus. Doch Pitchon sucht mehr als
den Kick der Befreiung, wenn er sich vom Status quo des Gedenkens in Israel
abzunabeln versucht, denn die "regelmäßige Wiederholung dient nicht dazu, uns
erinnern zu helfen, sondern als Monument eines unbeweglichen, monolithischen,
gelähmten Exorzismus. Keine Erkenntnis, keine Bewegung, keine Verjüngung."
Was aber ist die Lehre, die sich für junge Israelis
aus Auschwitz ziehen lässt? Zunächst einmal die: Alles ist darstellbar. Roy "Chicky"
Arad löst die Lagerarchitektur in grafische Muster auf, Yoav Ben-David malt den
Eichmann-Prozess in glühenden Rottönen nach oder fantasiert in seinen Gemälden
von bizarren "Nazi-Robots". Das mag auf den ersten Blick wie eine
Skandalisierung des Bösen wirken, aber der Effekt verbraucht sich schnell. Die
bloße Umwidmung von Zeichen verhindert zudem keine der beklagten
Dämonisierungen, vielmehr vertraut das Spiel mit dem Tabubruch gerade auf jenen
Schock, der doch eigentlich überwunden werden soll.
Entsprechend stößt etwa Oreet Asheris mit "Central
Location" zu Recht an Grenzen: Indem die 1966 geborene Künstlerin in einem extra
eingerichteten Frisörladen Besucher animiert, sich den Kopf kahl scheren zu
lassen, produziert ihre unterschwellige Gleichsetzung von KZ-Insassen und
Skinheads selbst nur Stereotypen. Weil Asheri schlimmstenfalls sogar weiß, dass
die ästhetische Behauptung weder historisch stimmt noch den Ambivalenzen der
Mode standhält, hat sie nebenbei Poster aus der schwulen Clubszene aufgehängt,
um die simple Dichotomie zu brechen - schließlich gibt es den Kurzhaar-Code
überall. Der Unterschied, dass in den Konzentrationslagern Zwang war, was heute
stilbewusst aus freiem Willen geschieht, ist die einzige und sehr triviale
Erkenntnis, die man aus dem Haarstudio mitnimmt. Dieses Problem findet sich
leider allzu oft in den Arbeiten für "Wonderyears". Mit coolem Gestus soll eine
Oberflächlichkeit im Umgang mit der Shoah entlarvt werden, der die Kunst jedoch
selbst fortwährend aufsitzt. Es mag daran liegen, dass es in Israel einen
Nachholbedarf in Sachen Darstellung gibt. Aber genügt es, einen strahlenden
jungen Mann zu fotografieren, der mit Milkshake bei McDonalds sitzt, um mit dem
Schnappschuss aus Polen gleich sämtliche Memorial-Reisen nach Auschwitz als
sinnentleertes Event zu konterkarieren, wie es Dan Shadur mit "Holocaust Tour"
vornimmt? Das zum Ritual erstarrte Gedenken wird durch Parodie und Verweigerung
nicht besser kenntlich, der Zynismus ist auch nur ein Mittel, um die
Beschädigungen aus der Vergangenheit gar nicht erst an sich heranzulassen.
Am Ende ist es vor allem das Video "Trembling Time"
von Yael Bartana, in dem das Schweigen angesichts der Shoah greifbar bleibt.
Zeitlupenhaft schieben sich Autos gespenstisch über eine Autobahn, die Fahrer
steigen aus und gleiten wie Geister über die Straße. Bartana hat den Moment
gefilmt, in dem am Soldaten-Gedenktag die Zeit für die Länge eines Sirenentons
still steht. Dieser Stillstand ist ein Loop, der sich unentwegt wiederholt.
Bartana hat dieses Bild gewählt, "um die Macht, die der Staat über die
Individuen und das Kollektiv der Gesellschaft hat, in Frage zu stellen". Die
Künstlichkeit der Situation wird zum Spiegelbild: Israel steht im Stau,
festgefahren zwischen Gegenwart und der permanenten Rückbesinnung auf die
Schrecken der Vergangenheit. Keine Bewegung? Jedenfalls nicht, solange das
Gedenken an die Shoah nur als mechanischer Prozess vom Staat auferlegt ist. Das
kann sich ändern, die Erinnerung nicht.
Bis 1. Juni, Kunstamt Kreuzberg und NGBK, Berlin.
Der Katalog kostet 18 Euro.
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hagalil.com 29-04-2003 |