Unnormal bittere Feinkost
aus Fürth und Berlin PHILIPP
GESSLER
Susi Sorglos wackelt herbei.
Das rosa Plüschtierchen ist süß, weich, brav. Aus der blauen Schleife um die
Brust ragt ein Stab mit einem Spruchband an der Spitze: "Bei euch bin ich doch
sicher! Oder?", fragt das batteriegetriebene Spielzeug. Susi Sorglos ist auch
Kunst. Im Jüdischen Museum Franken in Fürth liegen derzeit Prospekte mit der
Anmutung von Aldi-Wurfsendungen aus. Darin wird neben einem Foto von Susi
erklärt: "Das kleine Immigrantenschwein Susi Sorglos hat mal gehört, dass Juden
kein Schweinefleisch essen. Und so hat sie das jüdische Volk als Zufluchtstätte
gewählt." Susi Sorglos ist das offizielle "Maskottchen" der Ausstellung
"Feinkost Adam ©".
Es gibt Streit um Susi Sorglos -
wohl auch weil Kurt Tucholskys Antwort auf die Frage, was Satire dürfe
("Alles!"), in Deutschland kein Konsens ist. Susi Sorglos ist Satire, und knallt
als Teil der Ausstellung Feinkost Adam © mitten hinein in die
Antisemitismus-Möllemann-Debatte dieser Tage. Paul Spiegel, Präsident des
Zentralrats der Juden in Deutschland, hat die Ausstellung kritisiert. Und auch
Günther Beckstein, Bayerns Innenminister von der CSU, hat sich in den Streit
eingemischt.
Wer Antwort auf die Frage sucht,
ob Susi Sorglos antisemitisch grunzt, sollte einmal hinausfahren nach Fürth. In
einem dreistöckigen Haus in der Nähe des Bahnhofs ist das Jüdische Museum
untergebracht, kaum zu erkennen von außen. Nur an der Klingel ist der Name
angebracht. Jutta Fleckenstein, Pressesprecherin des Museums, führt durch die
Dauerausstellung, zeigt jahrhundertealte Thora-Schilder, verweist auf eine
Zeitung jüdischer "Displaced Persons" vom 23. August 1946.
Und zwischen all diesen Exponaten
sind in Vitrinen billig aussehende, poppig bunte Objekte der Ausstellung
Feinkost Adam © zu sehen: Etwa eine "Vogelsukka", ein Vogelhäuschen aus Plastik.
"Wenn Juden einen Vogel haben und wenn dieser Vogel religiös erzogen wurde, so
braucht eben jener Vogel zu Sukkot eine Sukka", erklärt der Text im
Ausstellungsprospekt: eine Extralaubhütte zum gleichnamigen Fest also. Im Keller
des Hauses ist eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, zu finden, das der jüdische
Erbauer des Hauses im 17. Jahrhundert für sich installiert hatte. Davor stehen
Gegenstände, die zur "Feinkost Adam ©"-Ausstellung gehören. Eine als koscher
ausgezeichnete Zahnpasta und drei Wäschekörbe mit hebräischen Schriftzeichen,
die übersetzt "milchig", "fleischig" und "Sonstiges" bedeuten.
Rund 6.000 Besucher hätten die
Ausstellung seit Anfang März schon gesehen, berichtet Jutta Fleckenstein, "das
ist für uns sehr, sehr gut." Schaut man in das Besucherbuch, kommt die Schau
meist hervorragend an. Aber sind die 14 Stücke der Ausstellung mehr als ein Gag
mit Objekten aus jüdischem Alltag und Religion? Was sollen etwa Einmachgläser
Marke "Gefillte Fisch italienische Art" und Susi Sorglos eigentlich sagen?
Solche Fragen beantwortet Anna
Adam, 1963 in Siegen als Kind von Holocaust-Überlebenden geboren, in ihrem
chaotischen Atelier, einer ehemaligen Fabriketage im Berliner Viertel Prenzlauer
Berg. Die Macherin der Ausstellung Feinkost Adam © erklärt, sie wolle mit ihren
Objekten die Vorurteile von Nichtjuden über das Judentum aufspießen, die
"Highlights" der "deutsch-jüdischen Krankheit" herausstellen, und zwar
satirisch: "Satire hat einen ernsten Boden." Sie verweist auf ihr
"Golem-Kabinett" im Dachgeschoss des Museums, benannt nach der die Juden
rettenden Fantasiefigur Golem: Zum Kabinett gehören Objekte, die auf Situationen
hinweisen, in denen ein Judenretter aus Lehm wie der Golem aus Prag nötig
gewesen wäre. In einem der Kegel ist der gelbe Davidstern zu erkennen, den ihr
Vater in der Nazizeit tragen musste.
Eines ihrer Objekte, das "Bastelset
Kino ,Als der Jude laufen lernte' " hat Anna Adam liebevoll zusammengefaltet und
-geklebt. Sie führt das "völlig dämliche Ding", an einer Kurbel drehend, vor:
Wie in einem Daumenkino ist eine schemenhafte Gestalt zu studieren, die geht -
den Wunsch vieler Nichtjuden aufgreifend, einfach mal einen Juden zu sehen.
Gleichzeitig nimmt es Vorurteile über eine angeblich besondere Physiognomie von
Juden auf. "Das Projekt Feinkost Adam © ist ein Versuch, mit jüdischem Humor
Klischees vom Judentum aufzubrechen", sagt Anna Adam. "Feinkost Adam © ist ein
satirischer Beitrag zu einer mit ernsthafter Verbissenheit geführten Diskussion
um jüdische Normalität in Deutschland."
Da soll mein Herz nicht bluten?
Fehlt es Arno Hamburger und Haim
Rubinsztein an Humor? Ist den Vorsitzenden der Nürnberger Jüdischen Gemeinde und
der Nachbargemeinde in Fürth der berühmte jüdische Witz ausgegangen? Im
"Adolf-Hamburger-Seniorenheim der israelitischen Kultus-Gemeinde" sitzen sie an
der gedeckten Kaffeetafel und bringen vor Empörung keinen Bissen runter. Er
lasse sich nicht sagen, "dass wir keinen Humor verstehen", sagt der 43-jährige
Rubinsztein: "Ich lache auch nach der Schoah." Diese Ausstellung aber "verletzt
und kränkt". Sein Großvater sei totgeschlagen worden, da er sich aus religiösen
Gründen geweigert habe, seinen Bart abzuschneiden.
Sein Nürnberger Kollege Hamburger
ist 1939 nach Israel emigriert, kam nach dem Krieg als Mitglied der "Jewish
Brigade" der britischen Armee zurück nach Deutschland und war Dolmetscher bei
den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen. Seine Eltern überlebten den Krieg,
versteckt in einer Laube am Jüdischen Friedhof der Stadt. Er wisse noch, sagt
der 79-Jährige mit Verweis auf Anna Adams Bastelkino, wie die Deutschen damals
vor Karikaturen in Schaukästen des Stürmers gestanden hätten, um zu
sehen, "wie Juden laufen". Hamburger hat eine Kopie aus dem Nazi-Hetzblatt mit
antisemitischen Karikaturen von "typischen" Juden mitgebracht. Darunter der
Schüttelreim: "Nirgends Haltung - stramm und straff / So ein Jud schleicht wie
ein Aff." Viele Ausstellungsstücke erinnern ihn an das Leiden seiner Eltern: "Da
soll mein Herz nicht bluten? Da soll meine Würde nicht verletzt sein?" Außerdem:
Wer von den nichtjüdischen Besuchern habe genug Ahnung, um den angeblichen Witz
der Ausstellung überhaupt zu begreifen.
Hamburger hat die Ausstellung
nicht gesehen, aber den "Feinkost Adam ©"-Prospekt hat er geradezu seziert. Wie
der Rabbiner der Fürther Gemeinde, Netanel Wurmser, und viele andere Mitglieder
war er entsetzt über das Gesehene. Hamburger organisierte Protestbriefe
wichtiger Persönlichkeiten - unter ihnen etwa Charlotte Knobloch, die
Vizepräsidentin des Zentralrats, und Joel Berger, der Sprecher der
Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik. Doch der wissenschaftliche Beirat des
Museums, dem renommierte jüdische Intellektuelle angehören, stützte die
Ausstellung.
Daraufhin machte
Zentralratspräsident Spiegel Druck beim Bezirkstagspräsidenten und ersten
Vorsitzenden des Trägervereins des Museums, Gerd Lohwasser. "Ich protestiere mit
aller Entschiedenheit gegen eine Fortsetzung der Ausstellung", schrieb Spiegel.
Er könne sich "in keiner Weise damit einverstanden erklären, dass ,religiöse
Gefühle verletzt' werden".
Kurz vor der entscheidenden
Sitzung des Vorstands des Trägervereins am 18. April schrieb Bayerns
Innenminister Beckstein einen Brief an Kommunal- und Landespolitiker in diesem
Gremium - "ganz persönlich - nicht in dem Amt des Innenministers". Darin
forderte er, "dass eine Ausstellung, die nicht die nötige Sensibilität gegenüber
unseren jüdischen Bürgern hat, nicht fortgesetzt werden darf". Als der Vorstand
abstimmte, gab es - politisch geschickt - Stimmengleichheit: Die Schau konnte
weitergehen.
Beckstein ließ nicht locker und
erklärte öffentlich Anfang Mai, Spiegels Vize Michel Friedman habe die
Ausstellung am 1. Mai besucht und kein Verständnis aufgebracht. Dumm nur, dass
Friedman nie in der Ausstellung war - die Aussage ihres Ministers musste eine
Sprecherin Becksteins später als "Missverständnis" korrigieren. Anders als
Spiegel, Knobloch und Rabbiner Berger hat ein Reporter der jüdischen Zeitung
Aufbau die Ausstellung gesehen. Er lobte sie als "witzig und provokativ".
Anna Adam geht nun vor Gericht:
Sie will mit einer einstweiligen Verfügung gegen den Fürther Rabbiner Wurmser
erwirken, dass er die Vergleiche des Ausstellungsprospekts mit dem Stürmer
zurücknimmt und sich für Interviewaussagen entschuldigt, wonach sie selbst eine
"waschechte Antisemitin" sei. Die Entschuldigung kam bis jetzt nicht. Der
zuständige Richter am Amtsgericht will bei einer Anhörung am 19. Juni die
Streitparteien versöhnen - dann aber ist die Ausstellung schon beendet.
Gemeindechef Hamburger prüft eine Klage gegen die Ausstellung, womöglich wegen
Volksverhetzung. Anna Adam sei "eine biologische Jüdin", sagte er mehrmals, "und
sonst nichts".
Den Verhaltenskontext verlassen
Gelassen, als ginge ihn das alles
nichts an, sitzt der Leiter des Fürther Museums, Bernhard Purin, bei
Sonnenschein an der Berliner Karl-Marx-Allee. Der Katholik und gebürtige Wiener
streitet sich mit dem Nürnberger Gemeindechef Hamburger seit Jahren über das
Konzept des Jüdischen Museums Franken. Im Kaffeehausplauderton und nur durch
gelegentliche Prisen seines Schnupftabaks unterbrochen, analysiert Purin den
Konflikt: Die Ausstellung treffe auf eine Umbruchsituation der Jüdischen
Gemeinden, in der die Holocaust-Generation langsam die Deutungshoheit über die
Form der Erinnung verliere. Die Ausstellung solle "Fragen aufwerfen, die sich
demnächst stellen".
Purin betont, er wolle mit seiner
Arbeit weiter in Richtung einer "Normalisierung" in den deutsch-jüdischen
Beziehungen kommen - einer "Normalisierung", die etwa Michel Friedman lebe, wenn
er als Talkmaster provoziere. Und wie den Zentralratsvize treffe auch die
"Feinkost Adam ©"-Ausstellung der Vorwurf der Förderung des Antisemitismus. Anna
Adam habe eben den Kontext, "wie Juden sich in Deutschland zu verhalten haben,
verlassen".
Vielleicht ist das das Fazit des
Streits in Fürth: Die Juden in Deutschland sind längst nicht mehr so brav wie
Susi Sorglos. Weder zu anderen noch unter sich.
taz
Nr. 6767 vom 6.6.2002, Seite 5, 280 TAZ-Bericht PHILIPP GESSLER
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