Emanuele Luzzati (1921-2007):
Der Altmeister
des italienischen Theaters
Von
Anna Zanco Prestel
Betrachtet man das Schaffen des 1921 geborenen Künstlers Emanuele Luzzati in
seiner Gesamtheit, so wird man zunächst von der Anzahl und Vielseitigkeit der
Betätigungsfelder überwältigt, auf denen er Bedeutendes, wenn nicht
Herausragendes geleistet hat.
Denn
Luzzati war ein unbestrittener Altmeister der Angewandten Kunst: ein weltweit
bekannter Bühnenbildner, Keramiker, Textil- und Kostümdesigner, Autor und
Produzent von Zeichentrickfilmen, nicht zuletzt auch ein begnadeter Illustrator.
Er selbst nannte sich schlicht "Bühnenmaler".
Der
große Regisseur Ermanno Olmi preiste ihn wiederum in den höchsten Tönen als
"Dichter der manuellen Begabung", etwa nach der Art Hermann Hesses, als dieser
in einer glücklichen Phase seines Lebens für die Freunde seine Gedichtbände mit
eigenen Aquarellen schmückte und selbst druckte.
Luzzatis
sprühende Kreativität war bis zuletzt das Ergebnis einer sechzigjährigen Ehe
zwischen raffiniertem kunsthandwerklichen Können und kultivierter
Intellektualität.
So
entstand eine "angewandte Kunst", die – wie der Kritiker Sergio Los geschrieben
hat - eine "wortgenaue Interpretation" zulässt, weil die heute nicht mehr
übliche Unterscheidung zwischen "hoher" und "angewandter Kunst" in seinem
Schaffen definitiv hinfällig wurde. Denn Luzzati liebte das Spiel. Und das Spiel
ist "die Quelle jeder Semiotik, jeder Form von Kommunikation" (Sergio Los).
Das
Spiel erlaubte ihm jenes gestalterische Experimentieren, das in der reinen,
abstrakten Kunst maßgebend ist, in eine Produktion umzusetzen, die rein
figurativ war.
Obwohl
er sich schon in frühen Jahren als Illustrator betätigt hatte, begann seine
Laufbahn im Zeichen des Theaters.
Da ihm
aufgrund seiner jüdischen Herkunft der Besuch einer höheren Schule im
faschistischen Italien verwehrt wurde, emigrierte er 1938 allein nach Lausanne,
wo er die "École des Beaux Arts et des Arts Appliquées" besuchte.
Das
"Exil" war, wie er rückblickend bemerkte, etwas "was kommt, weil es kommen
musste", etwas, das eine herbeigesehnte Veränderung mit sich brachte: kurzum,
eine Erweiterung des Horizontes und eine Bereicherung in künstlerischer
Hinsicht. In Lausanne wurde er mit den neuesten Tendenzen in der französischen
Kunst konfrontiert, von denen er in Italien kaum Notiz hätte nehmen können. Er
stand unter dem Einfluss von Rousseau, Picasso und der französischen
Postkubisten: von ihnen übernahm er vor allem die "surrealen,
spielerisch-spöttischen Elemente", ohne sich aber auf die "kalten, zerebralen
Divertissements" (Rossana Bossaglia) einzulassen.
Am
Meisten - wie häufig beobachtet wurde - lernte er von Chagall. Da die
russisch-hebräischen Traditionen ihm fremd waren, lehnte sich der Weltbürger
Luzzati eher an die orientalischen Fabeln, die ethnische Wurzeln entbehren.
Nichts erfuhr man zu der Zeit in der ganz nach Frankreich ausgerichteten
französischen Schweiz über den im Berner Exil weilenden Paul Klee, nach dem
sich Luzzati wie viele andere Nachkriegskünstler orientieren werden. Wie viele
andere Flüchtlinge und spätere Remigranten wurde Luzzati zum Vermittler
unterschiedlicher künstlerischen Tendenzen, welche die Kulturszene im
Nachkriegseuropa nachhaltig befruchten werden.
In der
Schweiz begegnete Luzzati zum ersten Mal zwei großen Namen der internationalen
Theaterwelt: dem Regisseur Louis Jouvet und dem Bühnenbildner Christian Bérard,
die später auch mit dem legendären Jean Louis Barrault arbeiten werden. Ihre
Inszenierungen von Molières "Ècole des Femmes" und von Strawinskijs "Histoire
du soldat" hinterließen bei ihm entscheidende Eindrücke: ihr äußerst
stilisiertes Bühnenbild galt für Luzzati als Modell und Ausgangspunkt für seine
Arbeit als Szenograph.
In
Lausanne trat Luzzati auch mit anderen Emigranten in Verbindung, durch den auch
dort lebenden Jugendfreund Alessandro Fersen insbesondere mit jüdischen Kreisen.
In Zusammenarbeit mit Fersen, der bei dem Anlass zum ersten Mal Regie führte,
malte Luzzati das Bühnenbild für sein erstes Stück "Salomon und die Königin von
Saba", das im Hauptbahnhof von Lausanne 1944 uraufgeführt wurde. Mit dem
gleichen Werk debütierten sie im "Teatro Augusta" in Genua und "Teatro Litta" in
Mailand, wohin sie unmittelbar nach der Befreiung Italiens zurückkehrten. Mit
dem zweiten Stück "Lea Lebowitz" griffen Luzzati und Fersen 1947 erneut auf in
Italien kaum bekannte Motive der hebräischen Tradition zurück. Für die beiden
Freunde war dies ein Versuch, der eigenen Arbeit eine "präzise Identität" zu
verleihen. In "Lea Lebowitz" führte aber Luzzati ein Element ein, das der
jüdischen Theaterwelt völlig fremd ist: das Element der Maske: von der "totalen
Maske" zur "halben Maske mit viel Schminke" bis hin zur "Nicht-Maske".
Neben
jenen Aspekten setzte sich aber in seinen Kompositionen immer stärker die
Erinnerung an die "Volumetrie" der Architektur seiner geliebten Geburtstadt
Genua mit ihren "schrägen" Bauten durch, in der das Romanische und das
Barocke, das Mittelalter und das Neunzehnte Jahrhundert mit der Moderne
harmonisch zusammenleben.
Der
Schauspieler und Regisseur Vittorio Gassman sah "Lea Lebowitz" und
beauftragte ihn 1950, Masken und Kostüme für Ibsens "Peer Gynt" zu entwerfen. Im
italienischen Nachkriegstheater herrschte Aufbruchstimmung. Neben den
damals etablierten Ensembles, versuchten sich in Mailand jüngere "Compagnie" und
Theatererneuerer wie das Paar Giorgio Strehler-Paolo Grassi einen Namen zu
machen, die sich zunächst als "Fischiatori"- Buhrufer- des konventionellen
Theaters profilierten.
Giorgio
Strehler, der Gründer des "Piccolo Teatro di Milano", der ihm in jenen Jahren
des Umbruchs immer wieder in Mailand begegnete, wird später über Luzzatis
Arbeit schreiben: "Angesichts seiner Bühnenbilder hat man immer den Eindruck,
mit Händen, Füßen und Gedanken in einen Traum versetzt zu werden... Sie gleichen
Kleiderbügeln, auf denen Wolken, Tränen; Blicke, Lachen und Weinen hängen...
Luzzatis Kunst besteht aus Winden, gebrochenen Farben, komische Illusionen..."
Während
Luchino Visconti das Publikum mit seinen raffinierten Innendekorationen und mit
edlen Kostümen bezauberte, die Meister der Haute Couture wie Tirelli für ihn
realisierten, ging Luzzati ganz andere Wege. Aus der Erfahrung der "Borsa di
Arlecchino", einer Mischung aus Kabarett und Commedia dell’Arte, die sein
anderer Wegbegleiter, der Regisseur Aldo Trionfo in den Fünfziger Jahren in
Genua ins Leben gerufen hatte, entwickelte Luzzati allmählich seinen
eigenen, sehr persönlichen Stil.
In
seinem Bühnenbild häuften sich nun immer mehr armselige Materialien, die er aus
Trödelläden zu beziehen pfleget. "Objets trouvés", zufällig gefundene
Gegenstände, die recycelt, zweckentfremdet, wiederzusammengesteckt und
künstlerisch verwandelt werden. Stühle jeder Art und Herkunft stapelten sich in
den verschiedensten Lagen neben alten Nachtkästchen und Kommoden. Verwendet
wurden die verschiedensten Stoffe, Stoffreste, Spitzen, Papier, Pappe, sogar
echte Dollars, die einmal aus Versehen zu bunten Masken verarbeitet wurden....
Die Kostüme entstanden zu Hause, häufig mit Hilfe seiner versierten Mutter, oder
in kleinen Werkstätten, die Farben direkt auf die Stoffe gemalt... Viel wird der
Improvisation überlassen, die Arbeit schaffte sich fast von selbst, an Ort und
Stelle.
In den
Sechziger Jahren flossen auch Elemente der Pop-Art, der Geist von Carnaby
Street und der Beatles in Luzzatis phantastische Visionen ein, die die
fruchtbare, zehnjährige Zusammenarbeit mit dem Regisseur Franco Enriquez, dem
Gründer der "Compagnia dei Quattro", beflügelten. Einen Höhepunkt dieser
zehnjährigen Zusammenwirkung stellten die 1963 international bejubelten
Mozart-Inszenierungen beim Festival von Glyndebourne dar. Theater, Kunst,
Mode und Kunsthandwerk vermengten sich in den Bühnenkompositionen der
"Zauberflöte", die für Luzzati eine erste Annäherung an die Opernwelt
verzeichnet.
"Vorher sah ich die Opern als
Theaterstücke... durch die Zauberflöte habe ich die musikalischen Bedürfnisse
der verschiedenen Gestalten begriffen, ich habe verstanden, dass es die Musik
ist, die den Rhythmus der Bewegungen, der Bilder, der Farben diktiert."
Es folgten eine Vielzahl von
Bühnenbildern für Opern von Mozart, Händel, Bellini, Donizzetti, Britten,
Strawinskij, Dallapiccola. Am liebsten inszenierte Luzzati seinen geliebten
Rossini, deren "Cenerentola" er immer wieder thematisch aufgriff.
Über die Gestalt von
"Aschenputtel", wie sie sich die bedeutendsten Theaterautoren aller Zeiten – von
Sophokles bis Brecht und Strindberg – hätten vorstellen können, gibt es auch ein
Bilderbuch: "12 Cenerentole in cerca d’autore", 1976 in Zusammenarbeit mit der
bekannten Theaterkritikerin Rita Cirio entstanden. Zum Spaß beider Autoren, die
sich mit der zeitgenössischen Theaterszene in Italien kritisch
auseinandersetzen, wurden die einzelnen Stücke im "Teatro della Tosse"
aufgeführt, die kleine Experimentierbühne, die Luzzati 1976 mit dem Regisseur
Tonino Conti in der Altstadt von Genua gegründet hatte. Eine Reihe von
eindrucksvollen Plakaten dokumentieren die wichtige Arbeit jener äußerst
kreativen Jahre.
Aus Opervorlagen entstanden
seit den Sechziger Jahren zahlreiche Zeichentrickfilme. Zwei davon "Die
Diebische Elster" (1964) und "Pulcinella" (1973) brachten ihm zwei
Oscar-Nominierungen ein. Federico Fellini preiste seinen "Pulcinella" als
poetisches Werk, in dem vor allem "das Drama eines Menschen erzählt wird, der
mit seiner ganzen Kraft frei sein will."
Durch die Beschäftigung mit
dem Zeichentrickfilm intensivierte sich auch Luzzatis Betätigung als
Illustrator. In über 400 Titeln, meistens Kinderbüchern, "kommentierte" er mit
seinen Zeichnungen die unterschiedlichsten Geschichten: vom Grimmschen zum
hebräischen Märchen bis hin zur modernen Erzählung von ihm nahe stehenden
Autoren wie Italo Calvino oder Gianni Rodari.
Das Märchen nach Walter
Benjamins Definition als "Restprodukt" gesehen, wurde immer mehr zum Leitmotiv
seines Schaffens und durch die Technik der Collage, des Patchworks, der
Zusammenstellung unterschiedlichster figurativen Elemente zu neuem Leben
erweckt.
Viele Einflüsse lassen sich
in dem gebildeten, zitatsreichen Werk von Luzzati mit bloßem Auge erkennen: vom
Fauvismus zum Expressionismus, von Ernst bis Morris und Blakst. Ein
eigenständiger Zug durchzieht dennoch die gesamte Produktion dieses Großen und
macht seine Handschrift unverwechselbar.
"Manche behaupten", hat
einmal Luzzati mit der ihm eingeborenen Bescheidenheit gesagt, "dass meine
Illustrationen immer sehr theatralisch , andere dass meine Bühnenbilder zu
illustrativ sind, dass in meinen Filmen zu viele Vorhänge und Bühnen zu sehen
sind... Ein Urteil steht mir nicht zu: ich erzähle, wie ich kann und wie es mir
gefällt. Wenn es mir auch gelingt, mit dem Publikum zu kommunizieren, es zu
unterhalten, um so besser. Wenn nicht, dann nicht! Wichtig ist, dass man sich
selbst treu bleibt."
Bühnenbildner und Illustrator:
Emanuele Luzzati
(1921-2007)
Am 26. Januar ist im Alter von 85 Jahren der international bekannte
Bühnenbildner und Illustrator Emanuele Luzzati in Genua gestorben. Am kommenden
Samstag hätte er den "Grifone d’oro", die wichtigste Auszeichnung für kulturelle
Verdienste seiner Geburtstadt, erhalten sollen. Dort an der "Porta Siberia" am
Alten Hafen ist im Jahre 2000 ein Museum entstanden, das seinen Namen trägt...
Bühnenbildentwurf für den Zeichentrickfilm "La casa dei suoni"(Das Haus der
Klänge) von Giulio Giannini und Emanuele Luzzati Regie: Daniele Abbado
2 Plakate: Teatro Ebraico und "La Barraca" von Garcia Lorca
2 Plakate: Die Olympiade des Zeichentrickfilms und
Pulcinella/Ballet
Pulcinella: Entwurf für den gleichnamigen Zeichentrickfilm
hagalil.com 08-02-07 |